Ein Interview mit Johannes Narbeshuber
In einem Satz, was ist Achtsamkeit für dich?
Die bewusste und wohlwollende Ausrichtung unserer Aufmerksamkeit.
Du bist zu Achtsamkeit gekommen wie wahrscheinlich viele durch die Erkenntnis, dass zu viel gearbeitet hast. Achtsamkeit war für dich ein Weg aus dieser Krise und wenn man so rumfragt, scheint sich ein ähnliches Muster bei vielen Menschen zu zeigen. Findest du es schade, dass ein achtsamerer Lebensstil bei vielen erst durch eine Krise zu Stande kommt?
Zum einen denke ich so funktioniert Entwicklung: Wir müssen oft erst an unsere Grenzen stoßen, um darüber hinauszuwachsen. Und zum zweiten, ja, ich finde es schade, dass es oft so schwere Krisen für einen achtsameren Lebensstil braucht. Ich würde jedem einzelnen und uns als gesamte Gesellschaft wünschen, dass wir uns nicht so brutal an die Wand fahren müssen, bevor wir bereit sind zu lernen. Ich glaub, das ginge oft auch früher.
Wie hat Achtsamkeit daraufhin dein Leben verändert?
Also erstmal ist mir deutlich geworden, wie viele Baustellen es gab und wie stark es bei mir innerlich drunter und drüber gegangen ist in dieser Lebensphase. Vieles hatte ich nämlich davor durch meine Betriebsamkeit, durch mein ständiges aktiv und geschäftig sein, zugedeckt. Also erst das ehrlich hinschauen, macht mir klar: Was will ich wirklich?
Wann kam zum ersten Mal die Idee auf, dich mit Achtsamkeit als Konzept selbstständig zu machen?
Esther und ich haben gemeinsam an viele Seminaren und Retreats teilgenommen. Wir empfanden die Themen sehr relevant und wichtig und hatten das Bedürfnis, das an andere weiterzugeben und gleichzeitig hat es uns geholfen, damit regelmäßig in Kontakt zu bleiben. Durch das Weitergeben, vertieft sich auch das eigene Verständnis für die Themen.
Was ist deine Lieblingsachtsamkeitsübung?
Das sind zwei. Das eine ist ein Mantra, mit dem ich mich drei Mal am Tag verbinde mir einer anschließenden Stille. Das andere ist die Metta-Meditation. (Anmerkung: Hier wird eine freundliche, wohlwollende Haltung zunächst sich selbst gegenüber, und dann übertragbar auf Menschen in dem Umfeld und schließlich auf alle fühlende Wesen konsolidiert.)
Was sagst du zu Leuten, die meinen „Achtsamkeit ist overhyped“?
In gewisser Hinsicht kann ich das nachvollziehen. Auf der einen Seite sehe ich das auch so, dass es in ganz vielen Kontexten strapaziert wird und in einer Art und Weise propagiert wird, die übertrieben ist und die ich für eine falsche Richtung erlebe. Auf der anderen Seite, wenn ich darauf schaue, was Achtsamkeit wirklich ist: Also an die Wurzel von dem zu gehen, was unser Denken und Handeln bestimmt. Die Aufmerksamkeit bewusst auf diese Wurzel zu lenken, statt automatisiert auf die äußeren Umstände zu reagieren, dann denke ich mir, man kann Achtsamkeit gar nicht overhypen. Das ist so fundamental notwendig für Herausforderungen unserer Zeit. Da frage ich mich eher, wie um Himmels Willen konnten wir diesen Aspekt so lange vernachlässigen. Also das war ja über lange Zeit in kollektiver blinder Fleck, sich damit auseinanderzusetzen.
Hast du ein Vorbild und wenn ja, wen?
David Steindl Rast, der ist ein Zen- und Benediktinermönch. Mit seinen 93 Jahren verkörpert er so eine bescheidene Liebe, das es mir jedes Mal total wohl ist, wenn ich ihm begegne. Also diese Kombination aus liebevoll, wach und bescheiden sein, find ich einen totalen Hammer. Der zweite der mir einfällt, ist Martin Luther King. Einfach, im Sinne von die Dinge mutig beim Namen nennen und für die Dinge eintreten, die uns wichtig erscheinen.
Johannes du sprichst neben deutsch und englisch auch fließend Französisch und spanisch. In welcher der Sprachen hast du tatsächlich schon oder würdest gerne mal Achtsamkeitsseminare geben?
Also in Spanisch habe ich das schon Seminare gehalten. Ich freue mich, auch dass wir jetzt gerade die englische Übersetzung vom Buch Mindful Leader bekommen haben und die spanische folgt demnächst. Das reicht uns fürs erste jetzt auch.
Was machst du am liebsten in deiner Freizeit?
Zeit mit meinen Kindern und meiner Frau verbringen. Mit denen bin ich sehr gerne in der Natur, in den Bergen oder am Strand (lacht).
Wie sähe die Welt aus, wenn jeder Mensch täglich meditieren würde?
Ich glaube das nur Meditation alleine noch ein Stück zu wenig ist, weil ich auch in unterschiedliche Richtungen meditieren kann. Aber wenn ich Achtsamkeit als wohlwollende und bewusst Ausrichtung unserer Aufmerksamkeit definiere, also wenn das Herz dabei ist und nicht nur die Aufmerksamkeit, dann glaube ich, dass wir zum einen natürlich eigenständige Individuen sind als Menschen, gleichzeitig brauchen wir aber auch einen Gemeinschaftssinn. Wir würden also erkenne, dass man in einer ziemlichen Sackgasse landet, wenn man sich immer als getrennt vom Rest der Welt sieht. Aus der Erkenntnis, dass wir miteinander verbunden sind, entsteht fast zwangsläufig eine andere Art miteinander zu wirtschaften, die nicht so sehr auf Konkurrenz, sondern auf das Wohl aller ausgerichtet ist. Und bei Wohl aller denke ich da sowohl an andere Menschen auf anderen Kontinenten und in anderen bildungs- und Einkommensschichten, als auch an den Planeten insgesamt.
Johannes, Danke für das Interview!
Danke
Das Interview führte Richard Möllers